Theorie und Praxis
 

Holofluxus als Geist des Schönen


 



Von der Aufklärung zum holistischen Kunstbegriff

Niemals zuvor waren weltweite Informationen über aktuellste künstlerische Tendenzen so verbreitet, nie zuvor wurde die Vermarktung der Gegenwartskunst international so perfekt koordiniert und weltweit vernetzt.
Das hat nicht nur die Produktion von Kunst verändert, sondern auch die konventionelle Form der Kunstvermittlung durch Museen, Künstlervereine, Kunsthallen und Galerien. Nicht zuletzt hat die Kunstkritik sich zunehmend den ökonomischen Zwängen der "Eventkultur" unterworfen, während die inhaltliche Auseinandersetzung mehr und mehr zu verkümmern scheint.

Das Kunstwerk belebt den Raum im Sinne einer "Ökonomie der Aufmerksamkeit", verleiht ihm Aussage, Authentizität und Gewicht. Die Originalität und Ausdruckskraft eines Kunstwerks gestaltet damit die Wirklichkeit als solche. Wenn Walter Benjamin dem Kunstwerk eine "auratische Daseinsweise" zuschreibt, verweist die Kunst auf den Menschen selbst und auf die Möglichkeit dynamischer Transformation. Damit befähigt die Kunst also einerseits zur Reflektion gesellschaftlicher Abläufe und ist ein wesentlicher Faktor von Kultur. Andererseits erlangt sie aber auch eine "prophetische Dimension und erhält ihre substantielle Kraft aus der Beseelung des Numinösen.

Die Kunst des Bildermalens (oder die Kunst überhaupt) stand von jeher im Dienst der Beschwörung des Numinösen, der Magie, von Herrschaft oder Gottesverehrung, um Glaubensinhalte zu überliefern oder der Schönheit (Ästhetik >griech. Philosophie) zur Erhöhung des Weltgefühls.
Was war daran falsch? Warum wurde dann im Rückgriff auf die Antike (Renaissance) mit dem "Aufbruch des Individuums" bis zur Aufklärung, der geistige Hintergrund der Kunst verändert, bzw. so nachhaltig ausgeklammert? Schließlich war auch die marxistische Ideologie als Religionsersatz nicht zur substantiellen, gesellschaftlichen Kunstentwicklung förderlich. Wenngleich unter ihr anfänglich enorme Möglichkeiten der Formen- und Ausdrucksweisen entwickelt wurden, die eine Freiheit des Ausdrucks überhaupt ermöglichte, die heute unentbehrlich ist. Die Redensart sich von etwas ein Bild zu machen, verdeutlicht doch, daß der Mensch neben der Sprache mit Worten, auch Zeichen und Bilder anwenden kann, um sich seiner Mitwelt gegenüber auszudrücken und verständlich zu machen. Vertieft das Bild jedoch damit nicht nur Wissen, sondern darüber hinaus möglicherweise auch Bereiche der Wahrnehmung, die sonst gar nicht zugänglich wären. Hier bewirken Zeichen und Bilder ihre unmittelbare, vielfach unreflektierte Mitteilungskraft, die -- in der künstlerischen Verdichtung – genau das beim Menschen auslöst und zustande bringt, was wir als den Sinn des Kunstschaffens und der Kunstbetrachtung ansehen.

In noch nicht vom westlichen Kunstbegriff beeinflußten Kulturen Ostasiens fand sich am Beispiel
Balis eine Art holistische Einheit von Kunst und Kultur in der Verbundenheit von Religion und Gesellschaft. In dieser uns als Museumsinsel erscheinenden Welt wird niemand eine Debatte über den Sinn von Kunst und die Definition eines Kunstbegriffes verstehen, solange für ihn Kunst noch Ausdruck seiner religiösen gesellschaftlichen Verbundenheit in der Gemeinschaft und deren liturgischen Handlungen ist. Dies in anderer und lebensnäherer Weise, als in den muslimischen Ländern des klassischen Orients, wenngleich wir hier in theokratischen Kulturen bereits deutliche Unterschiede einer Kunstauffassung feststellen können. Der Bildhauer im Europa des Mittelalters und die Meister der Bauhütten hatten bekanntlich ein ähnliches Verständnis von ihrer "Kunst".
Unseren Begriff von und für Kunst hatten sie so jedenfalls nicht. Zu ihrer Zeit währe es wohl undenkbar gewesen, daß jemand der aus reiner Freude und Spaß mit Farbe, Material, Formen und Bilder schafft und dies als Kunst betrachtet. Das dies heute richtig und möglich ist, sollte dann allerdings unter dem Aspekt unserer gesellschaftlichen Entwicklung betrachtet werden.

Das Handwerk der Kunst im Spannungsfeld des Marktes.

Marcel Duchamp der Vater sogenannter Ready-Mades - also Fertigwaren, Träger einer Poesie der Alltäglichkeit, hat z.B. mit dem Flaschentrockner und mit dem Urinal ab 1915 so gut wie alles gemacht, womit man den Bürger erschrecken konnte. Im Museum wurde also das Niedrigste mit der Aura des Höchsten umgeben, deshalb ist es für Künstler besonders schwer geworden über diesen "Übervater der Kunst" ohne Kunst hinaus zu gelangen. Épater le bourgeois wie das die Dadaisten nannten. Die literarisch-künstlerische Bewegung des Dadaismus in der gleichen Zeit (1917) beeinflusste bekanntlich die moderne Kunst sehr nachhaltig, indem sie Haushaltsgegenstände und Industrieerzeugnisse von ihrem ursprünglichen Gebrauchszweck löste und durch die Art der musealen Präsentation mit neuem Titel zum Kunstwerk erhob. Diese Radikalisierung in der sich die Kunst dem Material zuwendet woraus sie besteht, hat in der Wissenschaftstheorie der heutigen Zeit eine vergleichbare Entwicklung. Man interessiert sich nicht mehr für die Bedingungen der Erkenntnis, sondern analysiert die Bedeutung der Aussage, z. B. der Sprache selbst. Erfindet man die Semantik weil man über die Bedingungen keine Erkenntnis erlangt, macht man aus der Not eine Tugend? In der Malerei läuft dieser Prozess parallel.

Wenn heute alles zur Kunst erklärt werden, und jeder als Künstler gelten kann, wo im Ernst liegt da der Sinn und Forschritt? Selbst wenn wir es begrüßen, heute durch alle Mittel und Formen jederzeit alles oder nichts zum Ausdruck bringen zu können? Damit gelangte die Kunst an eine Schnittstelle von Wirtschafts- und Kulturgeschichte, im Zusammenspiel mit einer kunstgeschichtlichen Dimension.
Da wurden seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts unveränderte Gegenstände aus dem alltäglichen Leben zur Kunst erklärt. Das ist erstaunlicherweise immer noch dazu geeignet, erhitzte Diskussionen über die Legitimation solcher Vorgänge auszulösen. Warum hat diese Kunst noch immer etwas “illegitimes” an sich. Speziell in Museumskreisen setzt man demnach voraus, dass es legitime Kunst gibt. Ab wann ist aber ein gewöhnlicher Holzstuhl von einem Tischler, denn nun Kunst bzw. wann ist er es (noch) nicht, bzw nicht mehr?
Vom Nullpunkt des Bildes bei Malewitschs schwarzem Quadrat geht die Untersuchung des Bildes als Bild aus von Kandinsky, Klee, Mondrian und endet bei den monochromen Leinwänden des abstrakten Expressionismus und der Minimal-Art. Die POP-Art seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ging ebenfalls stark vom Bild aus und ist der Dada-Bewegung verwandt. Die Künstler versuchten, die abstrakte Kunst zu überwinden, indem sie wieder Reales mit Ironie und Witz als künstlerische Gestaltungsmittel einsetzten. In der amerikanischen POP-Art dominieren u a Konservendosen, der Supermarkt, die Verpackung, die reale Welt der Massenprodukte. In Serien, Reihungen, spiegelt sich der erlebte Alltag der 60er Jahre in Andy Warhols berühmten Serigraphien der Coca-Cola-Büchsen und Brillo-Boxen, Suppendosen u.a. Ikonen des Konsums wider.
Eine grandiose Schule der künstlerischen Wahrnehmung hat die neuere Kunstgeschichte durch die Zero-Bewegung, die NUL-Künstler, die Nouveaux Realistes und die Vielzahl von Künstlern erfahren, die sich Elementen der Realität verschworen haben. Die Kunst hat kontinuierlich den Charakter als freie Schöpfung, als Gemachtes, als techne verloren und büßt ihre singuläre Aura ein durch die oft nicht mehr mögliche Abgrenzung zur Wissenschaft.
Heute wird in der Kunst wissenschaftlicher analysiert, die Sprache, der Begriff, das Konzept sind bedeutender Bestandteil der Kunstproduktion und -rezeption. Wissenschaftler werden Künstler, Künstler werden Wissenschaftler. Die Kunst bleibt immer noch vielfältig, aber die Mehrzahl der Bewegungen in der neueren Kunstgeschichte arbeiten daran, die Wahrnehmung unserer Wirklichkeit zu schärfen, d.h., uns selbst zu erkennen, uns in unserem Verhältnis zu den Dingen und Ereignissen wahrzunehmen. Ist es möglich, das Kunstwerk selbst wieder in das Zentrum der kritischen Kunstbetrachtung zu stellen?

Holofluxus als der Geist des Schönen

Da schwebt er als Geist des Schönen bereits im Sommer 2005 über der Kölner Kunstmesse. Verstärkt widmen sich Künstler der positiven Vision, als Gegenpol zu der sezierenden Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse. Jedenfalls hat es der Kunst nicht die Sprache verschlagen. Wer Kunst zu seinem Vergnügen macht, kann sich dem Zeitgeist anschließen oder nicht. Für den Berufskünstler ist Holofluxus wie ein Löwenzahn der durch den Asphalt an die Sonne dringt. Dieses Abbild der kleinen Planze als Metapher für die positive Kraft des Lebens usw. verkörpert bereits Holofluxus. Es gibt schon immer eine holistische Strömung.
Gibt es da etwa keinen Fortschritt? Wenn ja, worin könnte er, sollte er, für unser aller Verständnis und zum Wohl der gesellschaftlichen Entwicklung, denn sonst liegen, als in dem Ergebnis noch größerer Erkenntnis vom großen Ganzen. Das holografische Bild erscheint als Sinnbild für ein holistisches Paradigma. Wie die Bilder des Ganzen auf jedes einzelne Bruchstück einer Holographie kommen?
Wie könnte es anders sein, diese Frage wiederum, stellen heute interessanterweise nicht nur wie bisher üblich, die Künstler allein; sondern auch "Wissenschaftler" entdecken als Künstler eine andere Welt der Wahrnehmung, die sie mit den "Künstlern" verbindet, welche wiederum inzwischen mit "wissenschaftlichen" Methoden und Mitteln der Analyse usw. der Öffentlichkeit künstlerische Mitteilungen machen, die unsere Welt der Wahrnehmung und des Bewußtseins darüber, bereits nachhaltig beeinflussen. Das ist als Bewegung nicht unbedingt ausmachbar, Künstler wie Kunstbetrachter mit holistischer Weltsicht werden sich diesem Holo-Fluxus jedoch verstärkt widmen und anschließen. Was wünschenswert wäre, in einer Zeit wo Visionen verteufelt werden  - "wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen", ehm. Bundeskanzler H. Schmidt. Die Zeit der quälenden Analysen ist unweigerlich zu Ende, der Paradigmenwechsel findet statt.

Wie nie zuvor waren Künstler aller Art in der Lage, unabhängig vom Marktgeschehen über ihre Weltsicht zu kommunizieren. Damit eröffnen sich den Malern, Bildhauern und anderen bildenden Künstlern, ähnlich wie in der Musik, eigene “independent works” zur Veröffentlichung und zum Verkauf ihrer Arbeiten. Möglicherweise trägt diese Entwicklung zur “Normalisierung des Kunstmarktes” bei, als ein erfreulicher Nebeneffekt. Das Entscheidende und Neue wird uns eben wie immer nur schrittweise bewußt. Auf der 2005er Kölner-Kunstmesse registriert ein Experte im Deutschlandradio, daß es diesmal eine ausdrückliche Tendenz zum Schönen gibt.
Praktizierende Künstler stellen inzwischen fest, wie groß die Lücke dessen klafft, was man sonst Vision und Utopie genannt hat. Alles weist auf die Erkenntnis hin, daß die bisherigen Jahrzehnte der akribischen Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse oder Bedingungen abgelöst werden von der Sehnsucht nach ethischen Grundsätzen und festen Werten. Woher aber nun nehmen, wenn seit der Aufklärung der Begriff von Freiheit mehr und mehr zum Schlagwort für Gewinn und Genußstreben angesehen wurde? Eben ohne das umfassende Verständnis von der "Freiheit schaffenden Disziplin", der Regel oder Struktur! Anarchische Freiheit war doch eigentlich so verpönt. Aber nichts anderes erleben wir in den Industrieländern. Da nimmt es nicht Wunder, wenn so eine Renaissance des Ganzheitlichen mit den neuesten Erkenntnissen und Errungenschaften als konkrete Utopie erscheint. Eine Vision, wie ein Traum der von jedem erfolgreich verwirklicht werden könnte. Nicht umsonst hatte der große Bürgerrechtler Martin L. King einen Traum, dessen Vortrag noch heute einen echten Schauer der Begeisterung auslösen kann. Außerdem kann jeglicher Erfolg deshalb nicht weiter allein an unser falsches Verständnis von Arbeit gekoppelt sein. Eine verkehrte Welt wird erst dann wieder verständlich, wenn fest steht, wo Oben und Unten ist!
HOLOFLUXUS ist nur das Wort für etwas das auch genauso gut mit dacapo bezeichnet werden könnte. Entscheidend ist der gemeinsame Gedanke von einer veränderbaren Welt, wo nur wenige Schritte eine radikale Bedeutung haben können. Womit die Kunst einmal mehr auch unverzichtbarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaftsentwicklung ist. Hier erwächst für diejenigen Künstler, die holistisches Empfinden und Denken zum Ausdruck bringen wollen, ein weites Feld von Möglichkeiten. Was zu beweisen wäre!

Rainer Purzelbach

 

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