Aus Theorie und Praxis

 

Vom Kunstwerk zum Kunstwert
Oder der Umgang mit der Kunst

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Pagerank Charts

Niemals zuvor waren weltweite Informationen über aktuelle künstlerische Tendenzen so verbreitet, nie zuvor wurde die Vermarktung der Gegenwartskunst international so perfekt koordiniert und weltweit vernetzt.
Das hat nicht nur die Produktion von Kunst verändert, sondern auch die konventionelle Form der Kunstvermittlung durch Museen, Künstlervereine, Kunsthallen und Galerien. Nicht zuletzt hat die Kunstkritik sich zunehmend den ökonomischen Zwängen der "Eventkultur" unterworfen, während die inhaltliche Auseinandersetzung mehr und mehr zu verkümmern scheint.

 

Der Umgang mit der Kunst

Das Bild ist ein Ding

Das Bild als "Kunstwerk" ist in erster Linie ein Ding. Man muss es an die Wand hängen, muss es lagern, wenn es viele sehen sollen, muss man Museen bauen.

Diese Gegenstände sind von Menschen (Sender) gemacht worden, damit  andere (Empfänger) diesen Gegenstand anschauen können. Ein Bild ist wesentlich mehr von seinem Charakter her "geformte Materie" als z.B. ein Konzert oder ein Buch. Durch seinen materiellen Charakter hat es eine "Aura", die uns direkt Zeuge werden lässt an dem Bearbeitungsprozess dieses Materials. Und selbstverständlich eben dadurch an seinem "Inhalt".

Solch ein Bild kaufen wir oder lieben es nicht wegen seiner materiellen Struktur, sondern wir mögen es sicherlich am meisten wegen seines Inhalts, wegen dem, "was es uns sagt". Doch ich möchte fast behaupten: letzten Endes ist die Faszination, die durch den "Objektcharakter" entsteht verlässlicher als die offenen, ungreifbaren Bedeutungsebenen der inhaltlichen Seite des Kunstwerkes.

Ein Buch muss man nicht im Originalmanuskript lesen, das würde sogar eher stören, ein Original bei einem Kunstwerk ist dagegen unersetzlich.


Beim Bild hat der materielle Aspekt eine ganz besondere Funktion.


Das Kunstwerk hat einen materiellen und einen ideellen Aspekt, die beide unlöslich (und beim "Original" einmalig) miteinander verbunden sind. Dies ist eine der Besonderheiten der "bildenden Kunst".

Sowohl der Künstler als auch der Kunstliebhaber kann deswegen mehr Gewicht auf den materiellen oder auch mehr Gewicht auf den Ideellen Aspekt legen.

Und weil das Bild als Ding so wichtig ist wird deutlich, dass das Kunstwerk eine Ware sein kann und somit den Gesetzen des Warenverkehrs unterliegt. Hier sind wir beim Kunstmarkt und dessen eigentümlichen Besonderheiten.

 

Wieso kann ein Bild so teuer sein?

Dieses Thema führt uns direkt zu der Frage, wie es zu der gesellschaftlichen Bewertung von Kunst kommt. Dabei ist die wesentliche Feststellung die, dass "Kunst" grundsätzlich eine gesellschaftliche Kategorie ist. Was auch immer der einzelne selbst "schön" findet, was auch immer für den Einzelnen "keine Kunst" ist, ist für die gesellschaftliche Zuordnung zu dem Bereich der Kunst völlig irrelevant.

Selbstverständlich gibt es "Einzelne", deren Meinung über Kunst das gesellschaftliche Kunstverständnis prägt. Diese "Einzelnen" sind Kunsthistoriker, Journalisten, Kunsttheoretiker, Philosophen, Museumsdirektoren usw. Also sogenannte "Fachleute". Diese Fachleute definieren auf Grund ihrer Kompetenz das, was gesellschaftlich als Kunst anzusehen ist.

Diese Fachleute haben bestimmte Vorstellungen, die sie dazu veranlassen, das eine als Kunst, das andere als Nicht-Kunst zu bezeichnen, sie haben Kriterien, die sie benutzen um diese Wertungen vorzunehmen. Allerdings unterliegen diese Vorstellungen und Kriterien selbst wieder dem historischen Wandel, Die Kunstgeschichte bietet dafür reichliche Beispiele, wie "Fachleute" sich immer wieder völlig vertan haben - jedenfalls aus der Sicht der heutigen Zeit.

Der Impressionismus war ursprünglich ein Schimpfwort, ebenso wie die Gotik. Und wenn man den Streit, der um den Ankauf des Bildes von Van Gogh in der Bremer Kunsthalle im Jahre 1913 entbrannt ist, verfolgt, erkennt man wie selbst hochrangige Kunstexperten sich in seltsamster Weise in diesem Streit geäußert haben.

Kunst wird immer neu definiert, jede gesellschaftlich neue Situation bringt auch einen neuen Kunstbegriff hervor. Und dennoch gibt es auch etwas, das bleibt. Es gibt Kunstwerke, die über alle Zeiten hinweg Kunst bleiben, so dass man zu der Auffassung kommen kann, dass es Kunst gibt, die der jeweiligen Gesellschaft zur Darstellung ihrer Selbstvorstellung dient, und deswegen als Kunst bezeichnet wird, und dass es Kunst gibt, die tatsächlich "zeitlos" erscheint.

Im Zusammenhang mit der Sichtweise der ZKT wird das eine eher einer sprachsymbolisch-indexalischen, das anderen eher einer abstrakten Deutung zuzuordnen sein.

Der Kunstmarkt wird im wesentlichen von den Museen, den Galerien und den potenten Sammlern gestaltet. Und weil Kunst ein Mittel ist, die eigenen Wertvorstellungen zur Anschauung zu bringen und dieses auch noch ohne offenkundige eigennützigen Interessen - denn Kunst ist ja ein allgemein anerkannter Wert - kann man mit Kunst wunderbar den eigenen Wert und eben die dahinterliegenden Wertvorstellungen sichtbar machen.

Warum haben Schokoladenfabrikanten und Ölmultis so ein Interesse daran Kunstmuseen zu gründen? Was haben private Sammler für ein Interesse, ihre Kunstschätze einem Museum als Leihgaben zur Verfügung zu stellen? Dafür gibt es sicherlich hehre, aber auch ganz eigennützige Interessen. Fangen wir bei den eigennützigen an: Wenn ein Bild in einem Museum gezeigt wird, muss es versichert sein. Der Wert des Bildes muss dazu festgelegt werden. Wer macht dies? Natürlich der Fachmann. (Vielleicht hat der ganz ähnliche Interessen wie sein Auftraggeber..?). Gut, das Bild habe laut vereidigtem Sachverständigen Gutachten z.B. einen Wert von 500.000.- Euro. Was nützt das dem Sammler? Damit kann er zur Bank und das Bild beleihen. Und sich mit dem Geld z.B. ein Haus kaufen, welches dann seinen Besitz weiter anwachsen lässt...

Auf Grund welcher Basis kann nun ein Sachverständiger so einen Wert ermitteln? Das geht über Auktionen. Auf diesen werden die Werte erfasst, die die Sammler aktuell bereit sind für ein Werk zu bezahlen. Vergleichbare Werke haben dann vergleichbaren Wert.

Wie macht man das auf Auktionen? Man ist z.B. ein Sammler und es fehlt einem ein Stück in der Sammlung. Dieses will man unbedingt erwerben, (z.B. für sein Museum in Tokio...). Wenn man Pech hat ist da noch ein Amerikaner, der das gleiche Bild für seine Sammlung braucht. Dann wird es ein Duell nach Wild-Westmanier, der Überlebende geht arm aber glücklich mit dem Bild nach Hause. Manchmal sind die Millionen, die bei Auktionen über den Tresen gehen allerdings auch nur das Geld aus der Portokasse...

Auf dem Kunstmarkt geht es also klassisch zu: Es geht nach Angebot und Nachfrage. Und je klarer das Angebot beschreibbar ist, desto eindeutiger kann sich die Nachfrage gestalten. Kunst von Künstlern, die schon lange gestorben sind eignet sich dafür am besten. Ihr Angebot ist genau begrenzt. Van Gogh hat eben 650 Ölgemälde gemalt, das ist in Werkverzeichnissen festgehalten. Und es gibt Hunderte von Büchern und Einschätzungen über die Kunst von Van Gogh, so dass es kein Risiko ist von ihm ein Bild zu kaufen. Der Wert wird also steigen, weil die Nachfrage bei äußerst knappem Angebot immer größer wird. Immer mehr Museen für moderne Kunst oder Kunst der klassischen Moderne werden gegründet, und jedem dieser Museen fehlt ein Van Gogh... Dazu kommen noch die Kapitalgesellschaften, die Aktiengesellschaften, die alle an diesem Kuchen auch noch teilhaben wollen... - die richtige Kunst bringt die profitabelsten Profite aller vergleichbaren Wertanlagen. Und bei moderner Kunst? Da zahlt man einem Fachmann schon mal ein gutes Honorar, dass er die richtige Einschätzung formuliert...

Bei lebenden Künstlern ist dieses Geschäft nicht so einfach. Da muss man immer mit Störungen rechnen. Die Künstler selbst sind ja unzuverlässig, fangen womöglich an ganz anders zu malen, vergessen, dass sie ein Markenzeichen haben, bzw. für den Kunstmarkt brauchen. Oder es gibt die Konkurrenz der Fachleute. Um sich zu profilieren werden bestimmte Werke hochgelobt, andere mit Missachtung ignoriert. Darin kann ein anderer Fachmann seine Chance wittern und das Ignorierte "entdecken". Sind genügend finanzielle Mittel vorhanden, wird ein Künstler, eine Künstlerin einfach "aufgebaut". Werbewirksam vermarktet.

 

"Kunstmacher" sind nicht die Künstler sondern die Kunstvermittler

Und da gibt es wieder eigenartige Mechanismen: Museen haben immer weniger ihre eigenen Ausstellungsleiter, immer häufiger werden freie Kuratoren mit der Ausarbeitung einer Ausstellung beauftragt. Die müssen natürlich darauf achten, dass ihre Ausstellung dann auch ein Erfolg wird, damit sie einen Anschlussauftrag bekommen.

Somit wird natürlich darauf geachtet "was aktuell geht". Immer mehr ähneln sich die Ausstellungen über moderne Kunst, immer mehr werden bestimmte Trends gesetzt, wie z.B. Videokunst oder Neue Medien. Das Tafelbild ist "out" - wer will sich noch die Mühe machen und das Tafelbild immer wieder neu zu definieren? Da ist es besser und einfacher was "Modernes, Frisches" zu zeigen, etwas, was neu und unverbraucht erscheint. Und wenn das klappt, (Wenn die Presse mitzieht und wenn die Sammler anbeißen) dann hängen die anderen Kuratoren sich da dran, und schon ist klar, was heute Kunst ist....

Künstler liefern heute nur noch das Rohmaterial für die Eitelkeiten des Kunstmarktes. Jeder "arrivierte" Künstler müsste sich im Grunde ernsthaft fragen, was er eigentlich macht...

 

Aber es gibt sie natürlich - "Die Kunst"

Da sind wir wieder beim Künstler selbst. Sagen wir mal es gibt den Künstler - was macht der eigentlich? Wie wir erkannt haben, "formuliert" der Künstler. Er wird also Aussagen machen, die ihn bewegen, die seine Zeit bewegen, und die die Veränderungen der gesellschaftlichen Situation abbilden. Dazu benutzt er seine Sprache.

Er wird mit dem Bewusstsein, das ihm zur Verfügung steht, Dinge und Sachverhalte zum Ausdruck bringen, die für ihn eine Wichtigkeit haben. Und er wird den Anspruch haben, dass das, was er zu sagen hat, nicht etwas ist, was andere vor ihm schon hundertmal gesagt haben. Der Künstler ist auf der Suche nach etwas, das er selbst noch nicht kennt. Er probiert aus, er forscht, er erfindet, er entdeckt. Und er muss für all dies eine Sprache finden, die das, was er da untersucht, angemessen zum Ausdruck bringt. Dabei lehnt er sich an das an, was andere schon vor ihm formuliert haben, er wird ein bildnerisches Vokabular gebrauchen, das andere Künstler vor ihm schon entwickelt haben, aber er wird auch versuchen, sein eigenes Vokabular zu entwickeln, seine unverwechselbare Sicht der Dinge in seine eigene Sprache zu gießen.

Ein Künstler wird mit der Kraft seiner Imagination, seiner Phantasie und seines Könnens wie ein Forscher die weißen Stellen des noch Unentdeckten versuchen sichtbar zu machen, er wird dafür eine Sprache finden müssen, die seine Sicht der Dinge auch richtig abbildet. Seine eigene Erkenntnisfähigkeit, seine Emotionalität, seine Intuition und seine eigene Bewusstheit wird ihn dabei leiten.

Aber weh dem Künstler, der noch zu entdecken glaubt, was schon andere längst vor ihm entdeckt haben. Er wird seine "Neuigkeiten" dem Publikum, dem Kritiker zeigen, der wird vielleicht gnädig darüber hinwegsehen, vielleicht wird er auch wohlwollend darüber berichten, aber zur "hohen Kunst" wird es schon dadurch nicht, weil es eben schon längst Bekanntes noch einmal zum Ausdruck bringt.

Die gesellschaftliche Wirklichkeit ist in ständiger Veränderung begriffen. Ständig wird es deswegen notwendig sein, dieses sich andauernd Verändernde in eine angemessene Sprache zu gießen, die verständlich machen kann was passiert. Den "Zeitgeist" darstellen, und zwar in seinen ganzen vielfältigen Facetten, ist eine Aufgabe der Kunst. Der Künstler unterbreitet seine Vorschläge, die Gesellschaft befindet dann darüber. Und wie sich der Künstler irren kann, so kann sich auch die Gesellschaft (in Gestalt ihrer Kunst-Kritiker) irren.

Erst später, wenn die Klärung der Zeitgeschichte mehr oder weniger abgeschlossen ist, wird sich zeigen, was gut war an der Kunst und ob sie wirklich dem Gepräge der Zeit Ausdruck verleihen konnte. Dann trennt sich die Spreu vom Weizen. Hochgelobtes kann dann in völlige Vergessenheit geraten, Ignoriertes und Beschimpftes kann sich plötzlich als das herausstellen, was für das Verständnis der Zeit maßgebend war.

Der Käufer, der Liebhaber, der Sammler kann sich dabei nur auf sein eigenes Urteil verlassen. Wenn er das Empfinden hat, ein Kunstwerk kann ihm etwas sagen über die Zeichen der Zeit, dann ist es gut für ihn. Mögen die Experten sagen, was sie wollen. Und wenn er selbst etwas erfahren hat über sich selbst, über seine Zeit und die damit zusammenhängenden Wertvorstellungen, dann war es schon gut, dass er sich das Kunstwerk, das Bild gekauft hat. (siehe auch Sammlertips)

Kunst als Spekulationsobjekt bringt vielleicht Geld aber kein Verstehen.

 

Reiner Purzelbach
 

Home | Kunst-Stoff | Buchbestellung | Rezepte | Bücher | Empfehlungen | Editorial | Handel | Mitglieder | Florenz